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16.01.2016 – Offener Brief zur geplanten Gebietsreform

Blauer Hintergrund mit Rapport Geraer Löwe

16.1..2016

Offener Brief zur geplanten Gebietsreform

An: bodo.ramelow@tsk.thueringen.de

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident Ramelow,

wir die Bürgerschaft Gera e.V haben die durch Ihren Innerminister Herr Poppenhäger in der vergangenen Woche vorgestellte geplante Gebietsreform zur Kenntnis nehmen müssen.

Wir haben durchaus Verständnis für größere Einheiten, wenn im Vorfeld nachgewiesen wird, welche finanziellen Veränderungen sich für Freistaat, Kommunen und Bürger ergeben und dass Vorteile für letztere entstehen. Eine Gebietsreform bedeutet Strukturänderungen, die Serviceeinschränkungen für die Bürger und Gewerbetreibende u.a. durch längeren Wege und Wartezeiten mit sich bringen können.

Wer Veränderungen will, sollte selbst beispielhaft vorangehen. Bereits 2005 hatte eine Gruppe von Unternehmern angeregt, die Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zu einem Land „Mitteldeutschland“ zu verschmelzen, um z.B. Gesetze anzugleichen und die wirtschaftlichen Beziehungen zu verbessern.
Folgende Abwehr-„Gründe“ wurden u.a. aufgeführt, um unser Ansinnen schon im Keime zu ersticken:

  • Berücksichtigung territorialer Besonderheiten und eigener Traditionen der jeweiligen Länder
  • kurze Verwaltungswege
  • ortsnaher und direkter Bevölkerungsbezug
  • Ortsnähe zur agierenden Wirtschaft
  • bessere Identifizierung mit der Region

Ist dieser Sinneswandel Vergesslichkeit oder dialektische Weiterentwicklung?

Die Argumente, die damals zur Zurückweisung einer Länderfusion verwendet wurden, werden jetzt im Munde der Landkreise und Kommunen zur geplanten Gebietsreform nicht akzeptiert.

Mindestgrößen von Ländern scheinen damals keine Rolle zu spielen. Bei einer Fusion hätten die drei Länder Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen zusammen immer noch weniger Einwohner als Bayern oder Baden-Württemberg. Heute gibt die Landesregierung in Ihrem Vorschlag aber für eine Gebietsreform in Thüringen starre Zahlen zu Mindestgrößen vor, ohne die Besonderheiten der Städte oder der Landkreise zu berücksichtigen. Übrigens gibt es in Bayern 25 kreisfreie Städte, von denen nicht wenige unter 100.000 Einwohner haben.

Hat dies etwas mit ausgewogenen Bürgerinteressen zu tun? Oder doch nur mit dem politischem Willen zu einer Veränderung? Die meisten Thüringer verstehen Ihre Beweggründe nicht und organisieren deshalb Widerstand. Bedenken Sie, dass jeder dieser Bürger mit seinen Steuergeldern den Änderungsaufwand und mögliche Verschlechterungen finanzieren muss. Denken sie an den Flop bei der Fusion der staatlichen Umweltämter in Thüringen. Die Entscheidungen in Erfurt wurden damals und vermutlich auch heute haftungsfrei getroffen. Mit Versorgungsposten und großzügigen Pensionsansprüche aus Steuergeldern werden Irrtum und Leichtsinn „abgefedert“.

Sehr geehrter Herr Ramelow,

finden Sie das richtig? Sind nicht die Bürger der Souverän des Landes und die Regierenden deren gewählte Ausführenden? Speziell für Gera ist der Vorschlag zur Gebietsreform weit ab unserer Lebenserfahrung. Anstatt sich die Achse der drei kreisfreien Städte Erfurt, Jena und Gera zu erhalten, soll das Oberzentrum Gera geopfert werden. Für was, für wen? Wegen der willkürlich festgelegten Zahl 100.000 Einwohner zu einem willkürlichen Zeitpunkt 2035?

Gera als einstige Bezirksstadt mit einem über die Landesgrenzen hinaus bekannten Theater, dem Maler Otto Dix, den Sporthochburgen für Boxen, Radfahren, Rollschnelllauf u.v.m., einem Kulturzentrum, einer großen Museumslandschaft, einem Fußballstadion (mit mehr Zuschauerplätzen als Jena), einer der ersten Straßenbahnstädte in Deutschland, Fachschulen, duale Hochschule und die größte Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber. Das alles soll in einem Landkreis untergehen? Sie würden damit dem Land Thüringen und vor allem der traditionsreichen Stadt Gera schaden. Das ist nicht unser Wille und sicher auch nicht Ihrer!

Wir bitten Sie, diesen konkreten Fall nachzubessern, ohne das es zu einem Bürgerentscheid kommen muss. Das bereits angekündigte „Zuckerle“ , im Nachgang einzelne Befugnisse wie Zweckverbände, den ÖPNV, Schulen usw. weiter selbst verwalten zu dürfen, wird nicht zu akzeptieren sein. Richten Sie Ihre Entscheidung am Wohl der hier lebenden Bürger und der Wirtschaft der Region aus. Treffen Sie keine parteipolitisch orientierte Entscheidung, sondern eine im Konsens erarbeitete vernünftige, sachbezogene und realistische Entscheidung. Dass dies geht, stellen wir als Bürgerschaft Gera e.V. im Geraer Stadtrat unter Beweis.

Wir würden es begrüßen, wenn Sie uns ebenso in einem offenen Brief antworten.

Dr.-Ing. Ulrich Porst
Vereinsvorsitzender