19.01.2022
Corona-Pandemie
Wie geht die Stadt mit den unangemeldeten, illegalen „Spaziergängen" in Gera um?
Stellungnahme der Fraktion Bürgerschaft Gera
Stellungnahme der Fraktion Bürgerschaft Gera: Mit dieser Überschrift wurde am 11.01.2022 von Fraktionen für den 19.01.2022 eine aktuellen Stunde im Stadtrat beantragt. Mit Schreiben des OBs vom 13.01.2022 wurde dies abgelehnt. Am Dienstag, den 18.01.2022, einen Tag nach dem „Montagsspaziergang“, folgte ein weiteres Schreiben vom OB. Hierin akzeptiert er die aktuelle Stunde zum 19.01.2020 und o. g. Thema.
Bekanntermaßen lief dieser „Spaziergang“ anders als die vorherigen ab und artete in Gewalt aus. Dieser Vorfall beeinflusste die Aktuelle Stunde vorhersehbar massiv, zumal sowohl Gegner als auch Befürworter der Corona-Politik ihre Überzeugungen bereits in der unmittelbar zuvor durchgeführten Bürgerfragestunde lautstark kundgetan haben. Erschwerend hinzu kam dann der am Dienstagabend, also dem Abend vor der Stadtratssitzung durchgeführte, unangemeldeten Corona-Protest vor dem Haus des Oberbürgermeisters. „Die rote Linie sei hier überschritten“ – so die Worte des Oberbürgermeisters. Jeder sollte sich einmal in die Lage der betroffenen Familie versetzen, wenn hunderte Menschen vor der eigenen Haustür abwertende Parolen skandieren, grölen, pfeifen und in die Fenster leuchten. Die Bürgerschaft Gera verurteilt diesen und jeglichen Angriff auf die Privatsphäre von öffentlichen Personen. Gewalt jeglicher Art, ganz gleich ob körperlich oder psychisch gegen Politiker und Politikerinnen, ist inakzeptabel, nicht zu tolerieren und untergräbt unsere demokratischen Grundwerten, für die doch die vermeintlichen „Spaziergänger“ auf die Straße gehen. „Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die Freiheit des Anderen beginnt.“ Immanuel Kant (1724-1804).
Auch wenn das Unverständnis und die Ablehnung vieler Menschen über die teilweise widersprüchlichen, undurchdachten, teils nicht nachvollziehbaren, weil schlecht kommunizierten Corona-Maßnahmen in Wut und Verzweiflung münden und durchaus nachvollziehbar sind, rechtfertigen sie dennoch in keiner Weise ein solches Vorgehen.
Die Bekämpfung der Corona-Pandemie ist und bleibt eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe und kann nur gemeinsam und durch eine „mitnehmende“ Kommunikation aller erreicht werden und erfolgreich sein. Das Virus unterscheidet seinen Wirt nicht nach „dafür oder dagegen“ und so sollten wir uns auch mit ihm auseinandersetzen. Dazu gehört der nötige Respekt, die Achtung der Meinung anderer, das nötige Verständnis für Sorgen und Ängste und Kompromissbereitschaft auf beiden Seiten. Wir sind in dieser Pandemie alle Lernende und keiner hat die Wahrheit gepachtet. Etwas mehr Demut stünde uns allen gut!
Die Erlasse und die Umsetzung des Infektionsschutzgesetz liegen auf Bundes- und Landesebene.
Dadurch werden Grundrechte für Bürger und Gewerbetreibende teilweise einschränkt. Den Verantwortlichen in den Städten und Gemeinden obliegt hier nur die kommunale Umsetzung. Die Auswirkungen indessen spüren die Bürger im alltäglichen Leben. Um dazu weiter aufeinander zuzugehen und Lösungen für Probleme zu suchen, war die aktuelle Stunde gedacht. Die Stadträte wollten dazu konkrete Fragen stellen und diskutieren und vom OB dazu Antworten erhalten. Leider ging das im Trubel der Ereignisse aber komplett unter. Deshalb nachfolgend unsere Meinung:
- Für uns steht der Dialog grundsätzlich an erster Stelle. Miteinander reden heißt, mit Argumenten zu diskutieren und auch dabei die Meinung des Andersdenkenden auszuhalten.
Totschlagargumente, Polemik oder gar Vergleiche zum Dritten Reich sind völlig indiskutabel. - Des Weiteren sind Respekt und sachlicher Diskurs geboten, um nachzufragen und auch zuzuhören, wenn die zuständigen Vertreterinnen und Vertreter der Stadtverwaltung über Grund, Notwendigkeit und die ergriffenen Maßnahmen zur Umsetzung berichten. So z.B. wie die Einsatzfähigkeit der Stadtverwaltung in allen Bereichen erhalten bleibt, wie und ob die Kontaktnachverfolgung funktioniert, wie Verstöße gegen gesetzliche Auflagen und Einschränkungen, wenn erforderlich, geahndet werden etc.
- Sicher bleiben dennoch Fragen offen. Diese können allerdings nur auf Bundes- bzw.
Landesebene beantwortet werden, darauf haben die Kommunen keinen Einfluss.
Kommunalpolitiker sind hier das kleinste Rad im Getriebe. Darüber sollten sich die Bürger unserer Stadt im Klaren sein, ganz gleich ob pro oder kontra.
Kommunalpolitiker stehen gegenüber allen Bürgern in der Pflicht, um mit Weitblick und Sachverstand bestmögliche Lebensbedingungen in Ihrem Verantwortungsbereich zu schaffen. Das gilt auch und vor allem in Krisensituationen und -zeiten. Die große Politik hat in der Corona-Krise kommunikativ versagt. Die Kommunalpolitik kann hier kommunikativ viel leisten. Dazu sollten sie der weiteren Spaltung der Gesellschaft nicht Vorschub leisten, sondern vermittelnd zuhören, zahlenbasiert und ehrlich argumentieren. Die Bürger wollen ernst genommen und nicht wie unmündige Kinder behandelt werden. - Kommunalpolitiker müssen nicht jede Maßnahme von Bund und Land gutheißen, ohne gleich Corona-Leugner oder Verschwörungstheoretiker zu sein. OBs wie Boris Palmer (Tübingen) und Claus Ruhe Madsen (Rostock) z.B. gehen gemeinsam mit Ihren Stadträten so auf Ihre Bürger zu und das mit viel Rückgrat, trotz Gegenwind.
- Die Fraktion, als auch der Verein Bürgerschaft Gera unterstützt diese Art von Kommunalpolitik. Wir nehmen die Sorgen und Ängste von Betroffenen zur Einführung einer Corona-Impfpflicht für bestimmte Gruppen in den Gesundheitsberufen ernst.
Sowohl die Art und Weise wie es zum Gesetz über die Impfpflicht kommen soll, als auch die Grundlagen zur Umsetzung liegen nicht vor, werden nicht kommuniziert und/oder sind nicht zu Ende gedacht.
zeigen wir als Kommunalpolitikinnen und -Politiker den Bürgern von Gera, dass wir Ihre Sorgen ernst
nehmen und das unabhängig von ihrem Weltbild!
Gera, 21.01.2022
Dr.-Ing. Ulrich Porst
Fraktionsvorsitzender
Bürgerschaft Gera