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Stadtentwicklung und Händlersterben in der Innenstadt und was man wissen sollte

Foto zum Theme Stadtentwicklung in Gera

12.02.2020

Stadtentwicklung und Händlersterben in der Innenstadt und was man wissen sollte

Stadtentwicklung

Foto zum Theme Stadtentwicklung in Gera

Sehr geehrte Damen und Herren,

vorangestellt sein soll:

  1. 2021 beginnt die siebenjährige Förderperiode der EU für die Stadtentwicklung generell. Verpassen wir es nicht, rechtzeitig Vorstellungen für Gera zu fixieren, um dann die entsprechenden Anträge stellen zu können.
  2. Gera ist eine attraktive Stadt. Sie hat
    1. eine gute Infrastruktur,
    2. spannende Arbeitsplätze,
    3. bezahlbaren Wohnraum,
    4. vielfältige Einkaufsmöglichkeiten,
    5. saubere Luft – bedingt auch durch wenig Industrie,
    6. ein breites Bildungs-, Freizeit- und Kulturangebot,
    7. eine herausragende Baukultur,
    8. viel Grün und
    9. eine ganze Anzahl herausragender „Proficenter“.

Was ihr aber fehlt, so bewerten es Fachleute, Händler, aber auch Gäste ist

  • auf der einen Seite ein durchgängig harmonisch gestaltetes und somit attraktives Stadtzentrum und
  • auf der anderen Seite ein zur Größe und Bedeutung der Stadt passendes, pulsierendes Innenstadtleben.

Die jeder Innenstadt zukommende „Herzfunktion“, die alle angrenzenden Bereiche mit „Blut“ versorgt, ist in Gera seit vielen Jahren ins Stocken geraten. Die Innenstadt in ihrer Gesamtheit funktioniert so nicht.

Was zählen wir zur Innenstadt?

Die Fläche zwischen den Arkaden bis zum Zschochern und vom Puschkinplatz bis zum Stadtgraben.

Im „alltäglichen Leben“ – nicht bei herausgestellten Events – werden Plätze, Straßen und Gassen oftmals als ein leerer und somit unwirklicher Ort, von Bürgern und Gästen empfunden. Einer der Gründe ist, dass in vielen Bereichen kleinteilige städtebauliche Strukturen sowie Plätze im menschlichen Maßstab, die Leben, Arbeit, Handel und Begegnung gestatten, durch Großstrukturen ersetzt wurden.

Nach dem damals geltenden Zeitgeist wurden auch in Gera wichtige Bereiche der Kernstadt sozusagen „ausgeräumt“ und die Kleinteiligkeit zerstört.

Mit Kenntnis dieser Tatsache besteht in Umsetzung nationaler Stadtentwicklungspolitik seit vielen Jahren die vordergründige Aufgabe in vielen Städten von Europa und Deutschland und somit auch in Gera darin, bewährte Stadtstrukturen, die z.B. einen hohen Vermischungsgrad von Arbeits-Handels- und Wohnfunktionen gewährleisten, wieder zu schaffen. Wir müssen wieder „einräumen“. Und das geht nur, wenn Stadtentwicklung wieder zu Stadtstrukturen führt. Wir haben zu lange die Ränder bzw. „Grünen Wiesen“ aufgefüllt und die Mitte der Innenstadt leer gelassen. So auch Geras „Alte Mitte“. Sie verstehen was ich meine.

Eine nachhaltige Stadtentwicklungspolitik muss sich jedoch konsequent um das Leere und teilweise unvollkommene in der Mitte kümmern. So ist es auch im ISEK beschrieben.

Nur wenn die Geraer Innenstadt durch eine zeitgemäße Mischnutzung wieder aus sich selbst heraus eine innere Kraft entwickelt, wird die Innenstadt erforderliche Zukunftsaussichten haben.

Mit diesem Wissen begrüßen wir es ausdrücklich, dass die Schlüsselinvestition „Geras Neue Mitte“, dem der EUROPAN-Wettbewerb vorausgegangen war und sich der Entwicklungsrahmen GNM und Rahmenplan „plus“ angeschlossen hat, nun endlich aktiv umgesetzt wird.

Die zweite, schon lange anstehende Schlüsselinvestition ist das Hertie-Areal in Verbindung mit dem Zschochernplatz.

Die Innenstadt von Gera wird nur dann den bestehenden Mangel an Funktionalität, Attraktivität und somit Bindekraft überwinden können, wenn beide Investitionen parallel geplant, entwickelt und möglichst zeitgleich schrittweise Umsetzung werden.

Ankerpunkte, wie der historische Marktplatz, das Hertie-Quartier und der Standort „Geras Neue Mitte“ sind für die Entwicklung einer attraktiven, funktionierenden, sowie zukunftsfähigen Innenstadt von größter Bedeutung.

Selbst solche handels- und dienstleistungsorientierten Schwergewichte, wie die Gera-Arcaden und die künftige „Otto-Dix-Passage“ sind von der Qualität der Gesamtinnenstadt, die sie auch selbst mitprägen, abhängig.

Wir können uns als Stadt keine weiteren Verzögerungen in der Umgestaltung der Innenstadt mehr leisten. Ansonsten werden wir den Wettbewerb mit anderen gleichgelagerten Städten in der näheren Umgebung verlieren.

Zwischen dem Einkaufszentrum Arcaden hin zur Altstadt, wirkt die nicht gestaltete Fläche „Geras Neuer Mitte“ wie eine Barriere. Mit der vorgeschlagenen Freiraumfestsetzung in diesem Bereich, wird eine maximal mögliche hohe fußgängergebundene Freiraumqualität gesichert. Dies ist dann der Schlüssel für den weiteren attraktiven Ausbau der Innenstadt.

Nun komme ich zu den „Händlern“ bzw. dem Einzelhandel und den Dienstleistern in der Innenstadt. Auch hier ist ein Umdenken bei den Nutzungsbedingungen in Zuge des Einflusses des Online-Handels im gesamten Zentrum erforderlich, aber auch andere Gestaltungsmöglichkeit sind zu beachten. Unter dem Motto:

  • Der Einzelhandel geht Online und wir sind der Partner vor Ort.
  • Wir haben ein Alleinstellungsmerkmal durch unsere Individualität.
  • Wir setzen auf Kundenbindung durch Beratung und Service vor Ort.
  • Wir bieten nachhaltige, nach Möglichkeit umweltneutrale Waren an.
  • Unsere Dienstleistungen bringen wir auch zum Kunden.
  • Wir schaffen eine Abholstation für Waren.
  • Wir berücksichtigen dem demographischen Wandel in der Stadt.
  • Wir bieten Produktdesign und eigene Herstellung.
  • Wir bieten beim Shoppen Events, Gastronomie und Geselligkeit.
  • Wir sind anders als die „Großen“.
  • Wir bieten Wohnraum über unseren Läden an.
  • Wir vermitteln uns gegenseitig Kunden und arbeiten eng in der Werbegemeinschaft wieder zusammen.
  • Bei uns gibt es einen festen Ansprechpartner für die weiteren Akteure, die zur Belebung der Innenstadt notwendig sind.

Dies sind alles Aufgaben, die durch den Handel organisiert werden müssen. Es gibt aber noch weitere Akteure bei der Gestaltung unserer Innenstadt.

Wer sind die weiteren Akteure neben den Händler und Gewerbetreibenden?

  • Die Stadtverwaltung Gera, aber auch das Land Thüringen
  • Die Hauseigentümer
  • Die IHK Ostthüringen und die Handwerkskammer
  • Die Wirtschaft an sich und
  • nicht zuletzt die Menschen die das Ganze für sich sinnvoll nutzen wollen.

Die Stadtverwaltung kann durch ihre Planungshoheit die Gestaltung der Innenstadt unter Mitwirkung der anderen Akteure entwickelt. Ein Alleinstellungsmerkmal dabei wäre wichtig, weil dadurch viele Besucher nach Gera angezogen werden und die eigene Bevölkerung motiviert ist, diese Möglichkeiten der Innenstadt umfassend zu nutzen.

Angenehme Geh -und Fahrwege, beruhigte Zonen, ausreichende und besondere öffentliche Beleuchtung, durchgängig eine umfassende Sauberkeit und Sicherheit, aber auch das Drängen auf Einhaltung der Regeln speziell im Innenstadtbereich sind weitere Aufgaben der Stadt.

Ebenso gehören ortsnahe, nach Möglichkeit preisgünstige Parkplätze dazu (siehe Parkplatz am Stadtgraben). Vergessen wir neben notwendigen Parkplätzen nicht, dass ein attraktiver Nahverkehr eine nicht zu unterschätzende Voraussetzung für ein pulsierendes Innenstadtleben ist.

Die IHK Ostthüringen und die Handwerkskammer sind in der Lage die Einzelhändler in all ihren Belangen zur Modernisierung, Digitalisierung u.v.m. zu beraten und zu unterstützen.

Den Bürgern von Gera und den Besuchern kommt bei der Belebung der Innenstadt eine große Rolle zu. Sie müssen gerne die Innenstadt von Gera aufsuchen. Ansonsten ist die Zukunft düster. (Bild 4). Wir brauchen die Kunden, denn viele Kunden versprechen eine erfolgreiche Zukunft. Es muss immer etwas Besonderes geben um den „Kunden“ in die Innenstadt und nicht an die dezentralen Verkaufseinrichtungen mit kostenlosen Parkmöglichkeiten zu lenken. Dazu können auch Innerstädtische Wegweiser dienen die Gäste auf unsere kleinen, aber feinen Händler aufmerksam machen.

Erfüllen wir unsere Aufgaben für die wir als Akteure uns verantwortlich fühlen müssen. Reden wir nicht nur darüber, sondern setzen um. Nur so wird es gemeinsam gelingen das „Händlersterben“ in der Innenstadt zu beenden. Lassen sie uns die teilweise vorhandenen Netzwerke wieder besser verknüpfen. Dann hat Gera Erfolg.

Am Ende möchte ich nicht nur geredet haben, sondern unterbreite folgende Vorschläge:

  • Die Interessenlagen der Hauseigentümer, Händler/Gewerbetreibende und der Stadt Gera müssen besprochen und nachfolgende Themenkomplexe geklärt werden
    • fehlende Nachfrage nach Wohnungen in der Innenstadt
    • behördliche Bearbeitungszeiten von Bauanträgen
    • Auflagen des Denkmalschutzes
    • fehlende Parkplatznachweise
    • ungeklärte Eigentumsverhältnisse
    • weitere Möglichkeiten der Nutzung der Immobilien
  • Abgleich der Interessen der Eigentümer mit dem „Kunden“, als Käufer, Dienstleistungsnutzer bzw. Mieter (z.B. Staffelmieten).
  • Entwicklung einer Strategie des gemeinsamen Vorgehens. Dabei muss die Stadt der Koordinator oder ein beauftragter Dritter sein. Diese Rolle kann ein Citymanager übernehmen. Die Hauseigentümer als auch Händler/Gewerbetreibende sind für die materiellen und finanziellen Umsetzung an ihren Objekten verantwortlich.
  • Bekleidende, in der Regel bauliche, Maßnahmen im öffentlichen Raum durch die Stadt, erhöhen deren Attraktivität.
  • Leitsystem für Einzelhändler einrichten.

Gera, 01.02.2020
Dr.-Ing. Ulrich Porst